Schon Paul Starke stellte 1899 in der „Praktischen Kaninchenzucht“ fest: Ohrenräude entsteht durch Milben!
Die tägliche Züchterpraxis wird oft mit Krankheiten konfrontiert, bei denen nicht immer gleich der Tierarzt konsultiert wird. Meist geschieht dies aus Zeit- oder Kostengründen, aber auch Leichtfertigkeit kann die Ursache sein. Ich hatte in diesem Zusammenhang vor einiger Zeit folgendes Erlebnis: Beim Schlachten von Kaninchen am Stall eines Halters wurde mir auch eine rasselose große graue Häsin auf den Tisch gesetzt. Sie war in guter körperlicher Verfassung, zeigte jedoch bei näherer Betrachtung in der unteren Ohrmuschel eine Entzündung im Anfangsstadium. Das Tier, so sein Besitzer, schüttele hin und wieder den Kopf. Es handelte sich ganz offenbar um Ohrenräude, eine heute eher seltene Erkrankung. Das war auch der Grund dafür, warum die Häsin aus der Zucht genommen werden sollte. Eine richtige Entscheidung! Die Behandlung durch einen Tierarzt kam aus Kostengründen nicht in Frage. Die etwa einjährige Häsin war durch Tiertausch zur Blutauffrischung von einem anderen Halter in den Stall gelangt.
Die Begebenheit löste bei mir die Fragen aus: Woher kommt die Ohrenräude eigentlich? Kann man selbst etwas zur Verhinderung oder Heilung dieser unangenehmen Erkrankung beitragen oder sollte man doch einen Tierarztbesuch vorziehen? Kann man ein derartig erkranktes Kaninchen geschlachtet noch verwerten?
Ohrenräude – ihre Ursachen, Wirkung und Verhinderung
Die Nachforschungen in der gängigen Literatur über Kaninchenkrankheiten erbrachten so manchen Tipp und Hinweis.
Im Jahr 1894 erschienenen Buch „Die Krankheiten der Kaninchen“ vom damaligen Direktor der Veterinärklinik der Uni Leipzig, Prof. Dr. med. Zürn, wurde bereits eine sehr ausführliche Beschreibung der „lokalen Räude oder Ohrräude (Ohrenfluss, Ohrenkatarrh)“ veröffentlicht. Danach verursachen zwei Arten von Milben diese ansteckende Krankheit mit zunehmender Schädigung der Haut im Gehörgang der Ohrmuschel. Es entstehen Entzündungen mit eitriger Flüssigkeit und braunen, oft mit Blut vermischten klebrigen und zudem übel riechenden Grinden und Krusten. Die Behandlung sollte seinerzeit anfangs mit Olivenöl, zwecks Erweichung der kranken Stellen im Ohr, und nach dem Entfernen der Krusten und Borken mit dem damals üblichen Perubalsam, Carbolwasser und Creolinlösung erfolgen. Erstaunlich finde ich im Buch die ergänzende Illustration über die einzelnen Besonderheiten der Ohrräude. Angesichts der akuten Ansteckungsgefahr mit den beiden Milbenarten als Krankheiterreger schließt die Abhandlung mit dem heute noch gültigen Hinweis: „Die aus dem Ohr der Kranken entfernten Pfröpfe und Krusten sind zu verbrennen.“
Der früher sehr geschätzte Fachautor Paul Starke schrieb in seinem 1899 erschienenen und danach weit verbreiteten Buch „Praktische Kaninchenzucht“ u. a. folgendes: „Ohrenräude entsteht durch Milben und ist ansteckend. Die an Ohrenräude erkrankten Tiere kratzen sich beständig mit den Hinterfüßen an den Ohren, schütteln mit dem Kopf, sind sehr unruhig, auch verlieren die aufrecht getragenen Ohren häufig ihre gerade Stellung. Ein unfehlbares Mittel und dabei das billigste gegen Ohrenräude ist Schwefelblüte, ein gelbes Pulver … Die Anwendung gegen Ohrenräude ist so einfach wie möglich. Man setzt das kranke Tier auf eine Kiste oder einen Tisch, hält beide Löffel hoch und lässt in jedes Ohr so viel Schwefelblüte fallen, als man zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger fassen kann, dann werden beide Ohren etwas geschüttelt und das Tier in den Käfig zurück gebracht. Nach 8 bis 14 Tagen wird dasselbe wiederholt und alles ist gesund und rein. Hinterher desinfiziere man den Stall gründlich.“
Altmeister Friedrich Joppich beschreibt in seinem bekannten Buch „Das Kaninchen“ 1959 im Abschnitt „Häufigste Krankheiten und ihre Bekämpfung“ unter „Ansteckende Krankheiten“ auch die Ohrenräude. Hier heißt es: „Diese tritt bei jüngeren als auch bei älteren Tieren auf. Sie ist im Anfangsstadium harmlos und leicht zu beseitigen. … Die Ohrenräude wird durch Räudemilben hervorgerufen, die leicht auf andere Tiere übertragbar sind. Das Einstreuen einer Prise Schwefelblüte in die Ohren ist ein bereits jahrzehntealtes Hausmittel. Zur Vernichtung der in den Stallritzen befindlichen Milben ist eine gründliche Stalldesinfektion erforderlich.“
Dr. Friedrich Knorr erläuterte 1972 und danach in den folgenden Buchauflagen ausführlich Erreger und Krankheitsentwicklung der Invasionskrankheit, d. h. der durch Befall mit Parasiten hervorgerufenen Erkrankung Ohrräude. Erstmals wird erwähnt, dass bei gemeinsamer Unterbringung von Kaninchen und Schafen in einem Stallraum bei Letzteren eine Übertragung mit Hauträude möglich ist. Es wird zu Fragen der Verwendung von kranken, geschlachteten Kaninchen aus tierärztlicher Sicht sowie unter Beachtung gesetzlicher Vorschriften Stellung bezogen. Gibt es demzufolge nur geringfügige Veränderungen in den Gehörgängen der Kaninchen ohne Störung des Allgemeinbefindens, besitzt der Schlachtkörper keine Einschränkung der Genussfähigkeit. Weiter wird festgestellt: „War jedoch das Allgemeinbefinden vor der Schlachtung sehr gestört, dann ist der Tierkörper zu verwerfen. Gut gekocht kann das Fleisch (ohne Kopf) verfüttert werden.“
Die Autoren Dr. Ulf D. Wenzel und Dr. Günter Albert brachten 1983 nach dem Tod von Dr. Knorr und 1996 das Buch „Kaninchenkrankheiten“ völlig neu überarbeitet und erweitert heraus. Dort heißt es: „Hervorgerufen wird die Ohrräude durch die Milbe Psoroptes cuniculi, in manchen Fällen gleichzeitig mit der Milbe Chorioptes cuniculi. Die Behandlung der Ohrräude beginnt mit der Entfernung der groben Krusten und Borken. Diese sollten gesammelt und anschließend verbrannt werden. Danach ist die entzündete Haut mit einem milden Antiseptikum abzutupfen. Bei bakterieller Sekundärinfektion ist eine antibiotische Therapie einzuleiten. Zur Bekämpfung der Milben eignen sich verschiedene Antiparasitaria. Die Behandlung sollte im Abstand von einer Woche ein- bis zweimal wiederholt werden, um auch die Milben zu erfassen, die erst aus den Eiern geschlüpft sind. Größte Vorsicht ist geboten, wenn Häsinnen zum Decken gebracht werden.“ Damit wird nachdrücklich auf die tierärztliche Behandlung mit modernen Therapiemöglichkeiten hingewiesen.
Schlussfolgerungen
Der Halter, für den ich die Häsin geschlachtet habe, hat die leicht erkrankte Häsin ohne Kopf verwertet. Seine Folgerung war, nachdem er nochmals alle seine Tiere nach Ohrenräude untersucht hatte und keine weiteren Erkrankungen feststellen musste, die Ställe schrittweise gründlich zu säubern und mit einem Desinfektionsmittel zu behandeln.
Er nahm auch Verbindung zum einstigen Besitzer der erkrankten grauen Häsin auf und empfahl ihm dringend eine Änderung und Verbesserung der Stallverhältnisse. Mein Einfluss und die Weitergabe der Expertenmeinung haben sich also gelohnt.
In den Vereinen sollte die regelmäßige Auswertung der Krankheitslage in den Zuchtanlagen der Mitglieder durch den Zuchtwart selbstverständlich sein. Das erfordert gegenseitiges Vertrauen und Entgegenkommen. Eine Kontaktaufnahme zum nächsten Tierarzt empfiehlt sich dennoch, trotz aller lobenswerten Eigeninitiativen.
Autor: Lothar Thormann