Unter der großen Anzahl verschiedener Bewertungskriterien in Position 2 „Körperform, Typ und Bau“ sind auch die Augen unserer Rassekaninchen zu berücksichtigen. Das gilt für alle Rassen. Die einzige Ausnahme bilden in gewisser Weise unsere Kastanienbraunen Lothringer, bei denen die Größe der Augen und ihr wacher, klarer Ausdruck, den sie als dem Wildkaninchen optisch sehr ähnliche Vertreter besitzen, in Position 4 „Kopf, Augen und Ohren“ bewertet wird. Alle anatomischen Fehler jedoch sind auch hier in Position 2 zu erfassen.
Augenfehler haben sehr verschiedene Ursachen. Diese wären unter anderem:
- Veränderungen aufgrund genetischer Defekte,
- gesundheitliche Beeinträchtigungen,
- dem Naturell des Kaninchens scheinbar entgegengesetzt geichtete Selektionsziele oder
- Nichtbeachtung von Fehlentwicklungen.
Die Nichtbeachtung von Fehlentwicklungen bei der Zuchtwahl und Bewertung sind immer wieder Ursache für Fehler, die unseren Rassekaninchen zeitweilig ernsthaft anhängig sind. Andererseits verschwinden solche Fehler nach entsprechenden Hinweisen auch wieder relativ schnell.
Kaninchen sind in ihrer natürlichen Verhaltensweise vorwiegend dämmerungsaktive Fluchttiere, deren Sinnesorgane dem Leben in kleinen Kolonien angepasst sind. So kommen dem Geruchssinn, der Sicht und dem Gehör allergrößte Bedeutung zu, wenn es darum geht, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und ihnen zu entweichen. Gehör und Geruch funktionieren beim Kaninchen auch auf größere Entfernungen exzellent. Die Augen sind so ausgebildet, dass sie infolge des großen Augapfels recht weit hervorstehen. Ihre Pupille ist groß. Die Iris ist in ihrer Breite kaum beweglich, was bedeutet, dass Kaninchen am Tage infolge der „Überbelichtung“ schlechter sehen können und sich erst bei dämmrigen Lichtverhältnissen wohlfühlen.
Mit ihren hervorstehenden großen Augen und weiten Pupillen verfügen sie über einen sehr großen Blickwinkel von ca. 170° (beidseitig), wobei sich die Gesichtsfelder der beiden Augen im vorderen Bereich überschneiden. Sie könnten dadurch auch leicht räumlich sehen. Das spielt aber kaum eine Rolle. Im Nahbereich werden die Augen durch die langen Spürhaare als Tastorgane unterstützt. Auf größere Entfernung ist jedoch der sog.„Panoramablick“, den sie dadurch empfangen und so in einem Dreiviertel-Kreis jede Bewegung vor und neben sich auch auf größere Entfernung registrieren können, der alles entscheidende Vorteil.
Unsere Hauskaninchen reagieren entsprechend. Nehmen sie den Züchter etwa beim Annähern an den Stall rechtzeitig wahr, dann verhalten sie sich in der Regel ruhig und kommen neugierig an das Gitter. Taucht der Mensch jedoch unvermittelt vor dem Stall auf, dann kann es durchaus zu einer Schreck reaktion kommen; die Tiere flitzen dann zunächst wild in ihrem Stall umher.
Verkleinerte Augen
Das Hauskaninchen ist von seinem weiten Gesichtsfeld nur noch bedingt abhängig. Den großen und deutlich hervorstehenden Augen kommt kaum noch eine praktische Bedeutung zu, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sie auch mit kleineren und kaum noch hervorstehenden Augen hervorragend existieren können. Die Abwehr von Gefahren kommt dem Züchter zu. Als Erscheinung im Zusammenhang mit der Haustierwerdung registrieren wir so vermehrt Rassen, bei denen recht kleine Augen auffallen, die der eine oder andere auch als „Schweineaugen“ bezeichnet.
Bei unseren Rassekaninchen fallen verkleinerte Augen vor allen Dingen bei Riesenkaninchen, Deutschen Widdern, Wienern und Weißen Neuseeländern auf. Dieser Verkleinerung der Augen, die in jedem Falle mit leichten Punktabzügen zu begegnen wäre, wird bei der Bewertung leider kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Es sei denn, es handelt sich in diesem Zusammenhang dann auch noch um…
Tief liegende Augen
Diese liegen vor, wenn die Augen nicht mehr im erforderlichen Maß aus dem Schädel hervorstehen. Kleine Augen begünstigen diesen Missstand, und als Folge können sich die Gesichtsfelder der beiden Augen vorne nicht mehr überschneiden. Der Blickwinkel ist nicht mehr der eines Panoramas, sondern jedes Auge hat ein vom anderen Auge getrenntes Gesichtsfeld, das trichterförmig den Bereich links und rechts des Tieres erfasst. Was vorne passiert, bleibt solchen Kaninchen verborgen.
Vor allen Dingen die Rassen, bei denen es auf extrem massige Köpfe ankommt, plagen sich regelmäßig damit, allen voran unsere Weißen Neuseeländer. Schaut man dem Kaninchen von vorne ins „Gesicht“, dann müssten beide Augen sichtbar sein und selbstverständlich auch noch deutlich hervorstehen. Das ist bei der genannten Rasse, aber auch bei einigen Widdern und Wienern oftmals nicht mehr der Fall. Begünstigt wird der Fehler dadurch, dass die gewünschte Kopfbreite oft mittels überlanger Behaarung erzielt wird, die die in der Regel zudem etwas kleinen Augen ringsum abschirmen.
Tief liegende Augen sind ein symptomatischer Fehler, der durch weitere Selektion, z.B. die Konzentration auf besonders breite Köpfe, erst richtig in Erscheinung treten kann. Durch konsequente Zuchtauswahl, die natürlich durch eine entsprechend kompromisslose Bewertung zu unterstützen ist, kann dem entgegengewirkt werden. Leider jedoch ist dieser Fehler inzwischen bei vielen „Kopf-Rassen“ typisch. Auch bei diesen Rassen gelten die Augen als ein Bestandteil der reichlich überfrachteten Position 2, wo sie ausdrücklich als leichter Fehler genannt sind.
Offene, lose Augenlider
Bei einigen Rassen treten offene bzw. lose Augenlider inzwischen ganz verstärkt auf, bei anderen Rassen dagegen fast gar nicht. Kaninchen sind in der Lage, ihre Augen etwas einzuziehen. Im Zustand der Erregung fallen insbesondere bei Riesenkaninchen die recht kleinen Augen auf, die in den weit aufgeklappten Winkeln der Augenlider zuweilen etwas verloren erscheinen.
Als Fehler werden offene und lose Augenlider nicht ausdrücklich im Standard beschrieben, sie sollten aber unbedingt größere Beachtung finden. Häsinnen zeigen diesen unschönen Fehler übrigens weitaus häufiger als die Rammler.
Nicht zu übersehen ist jedoch, dass es sich hier auch um durch Stress bedingte Erscheinungen handeln kann. Man sollte daher zunächst beruhigend auf das Tier einwirken oder ihm auch die notwendige Ruhe gönnen, um sich an den Aufenthalt auf dem Bewertungstisch zu gewöhnen. Dann schließen sich die Lider auf ein normales Maß. Die verhältnismäßig kleinen Augen jedoch bleiben, und ein entsprechender Hinweis auf der Bewertungsurkunde sollte nicht fehlen.
Nickhautvorfall
Die Nickhaut, eine Bindehautfalte im inneren Augenwinkel, ist eine Art drittes Augenlid, das vielen Wirbeltieren eigen ist. Ihre Funktion ist je nach Art sehr verschieden. Bei Reptilien und Vögeln ist sie glasklar und dient als „Schutzbrille“. Bei vielen kann sie horizontal, also quer zur Nickrichtung der Augenlider bewegt werden und schützt das Auge oder reinigt es von Verschmutzungen und Staub. Eingelagerte Tränendrüsen dienen zusätzlich zur Befeuchtung der Hornhaut.
Bei den Kaninchen besitzt die Nickhaut keine eigenen Muskelfasern und wird im Normalfall „eingelegt“ zwischen Auge und Lid im Verborgenen gehalten. Im oben beschriebenen Erregungszustand, wo Kaninchen ihre Augen etwas einziehen können, fällt die Nickhaut vor. Sie ist dann als fleischfarbiger Lappen sichtbar und kann die Hornhaut im Extremfall sogar fast ganz bedecken. Es handelt es sich hier nicht um einen anatomischen Fehler, es sei denn, es wäre ein Dauerzustand. Ein solcher ist mir aber noch nicht bekannt geworden.
Der Nickhautvorfall ist in der Regel also nur zeitweise am Tier zu beobachten. Schreckhafte Tiere neigen stärker dazu, ruhige Tiere eher weniger stark. Auch an der eigenen Stallanlage kann der Züchter diese Vorfälle regelmäßig beobachten, besonders dann, wenn er seine Tiere unabsichtlich aufgeschreckt hat.
Überwachsene Flügelhaut
Ein offensichtlich genetisch bedingter Fehler ist der in den letzten Jahren zunehmend festzustellende Bindehaut-Überwuchs, im Standard als „überwachsende Flügelhaut“ unter den schweren Fehlern aufgeführt. Offensichtlich genetisch bedingt ist dieser Fehler (wissenschaftl. Pterygium conjunktivae) deshalb, weil er innerhalb bestimmter Zuchtlinien verstärkt auftritt, in anderen wiederum gar nicht. In der eigenen Bewertungspraxis konnte er hin und wieder auch mehrfach innerhalb einer Zuchtgruppe festgestellt werden. Sowohl ein Auge, aber auch beide waren davon betroffen.
Es handelt sich um eine gutartige Wucherung, die durch den Tierarzt theoretisch mittels eines operativen Eingriffs entfernt werden könnte. Der Überwuchs kann die Hornhaut ganz oder teilweise erfassen. Letzteres führt zu Blindheit und wohl auch zu Schmerzen. Da es sich bei einem Überwuchs in der Regel um einen temporären, also derzeitigen Zustand handelt, dessen Endstadium nicht bekannt ist. Nicht auszuschließen ist, dass die Wucherung fortschreitet und im Endstadium zum vollständigen Verschluss der Hornhaut führt. Daher ist dieser schwere Fehler schon im Ansatz kompromisslos zu strafen.
Solcherlei Tiere gehören unter keinen Umständen in die Zucht. Selbst die Verwendung eng verwandter Tiere sollte nach Möglichkeit nicht erfolgen. Ob hier vornehmlich ganz bestimmte Rassen besonders betroffen sind, ist fraglich. Zumindest lässt die Bewertungspraxis den Schluss zu, dass es sich um eine allgemeine fehlerhafte Abweichung an den Augen aller Rassen handeln kann.
Blindheit
Die möglichen Ursachen von Blindheit sind vielfältig, sie kann aber auch genetisch bedingt sein. Dann werden die Jungtiere entweder bereits erblindet das Nest verlassen, oder aber die Blindheit schreitet erst mit zunehmendem Alter voran. Auch der Graue (Trübung der Linse) und Grüne Star (Augeninnendruckerhöhung), der regelmäßig auch mit einer Vergrößerung des Augapfels einhergeht, führen zur Erblindung des Kaninchens. Erworbene Erblindungen können von verklebten Augenlidern herrühren, die der Züchter an den Nestjungen zu spät erkennt, um sie dann vorsichtig zu öffnen.
Erbliche Erblindungen sollen den Züchter veranlassen, die betroffene Linie sofort aufzugeben, denn die Anlage zur Erblindung ist über Generationen ausgesprochen hartnäckig. Jede Erblindung ist als schwerer Fehler zu bewerten; die Tiere sind von der Zucht auszuschließen.
Tränenabflussstörungen und Kahlstellen
Von ihnen sind in der Regel vor allem unsere typischen „Bollenkopf-Rassen“ betroffen. Normalerweise gelangt überschüssige Tränenflüssigkeit über eigens dafür eingerichtete Kanäle in die Mundhöhle und wird vom Kaninchen geschluckt. Bei Rassen mit extrem kurzen Köpfen kann die Funktion dieser Kanäle gestört sein. Es kommt zu einem dauerhaften Tränenfluss, der die vorderen Augenwinkel ständig durchnässt und dort schließlich zum Haarausfall führt.
In der Rassekaninchenzucht sind derartige genetische Ursachen, die letzt endlich auf jahrelange Fehler in der Zuchtauslese zurückzuführen und schließlich auch mit einem „nicht befriedigend“ zu strafen sind, eher selten. Bei entsprechenden Katzen- oder Hunderassen stellen solche Selektionsfehler jedoch ein wirkliches Problem dar.
Auch die Ursachen von Störungen des Tränenabflusses können sehr vielfältig sein, und entsprechend ist in der Zucht und bei der Bewertung darauf zu reagieren. Neben bakteriellen Erkrankungen (z.B. ansteckender Schnupfen) können auch dauerhafte Reizungen der Hornhaut zu ständigem Tränenfluss führen. Wegen des permanenten Juckreizes kratzen sich die Tiere an den Augenwinkeln, was nicht selten zu größeren Kahlstellen führt. Schädigende Umweltreize, z.B. Staub, Zugluft, Ammoniakbelastung der Luft u.ä., sind abzustellen.
Dennoch lehrt die Erfahrung, dass erst einmal anfällig gewordene Tiere auch weiterhin recht labil reagieren, wobei es häufig wieder zu Rückfällen kommen kann. Tränenabflussstörungen werden mit dem Ausschluss von der Bewertung gestraft. Sollte der Fehler tatsächlich anatomische Ursachen haben, dann sind die Tiere auch von der Zucht auszuschließen. Kahlstellen werden ohnehin als schwere Fehler in Position 3 „Fellhaar“ berücksichtigt. Werden parallel am selben Tier auch noch feuchte Innenseiten der Vorderläufe festgestellt, so ist das ein relativ sicheres Anzeichen für eine Erkrankung. Ein solches Kaninchen gehört dann keinesfalls auf eine Ausstellung.
Autor: Henry Majaura